written by Kathrin Geef | Blogartikel 

23. Februar 2018

Wenn Menschen eine Partnerschaft eingehen, sind sie meist sehr verliebt ineinander – eine wunderbare Beziehung beginnt, Mann/Frau ist „verrückt” nacheinander, alle Sinne sind auf Gleichklang geschaltet. Die Partner sind sehr bemüht, Ähnlichkeiten zu entdecken oder sich ‚ähnlich’ zu machen. Erst allmählich erkennen sie ihre Verschiedenheit; es gibt Konflikte, Kränkungen und Enttäuschungen. Die Forschung geht davon aus, dass der Verliebtheitsprozess ca. 6 Monate dauert – je nachdem, wie häufig sich die Partner sehen können. Erst nach ca. 6 Monaten bis 1 Jahr entscheidet sich dann, ob aus den beiden ein Paar wird, nämlich dann, wenn die ersten Schwierigkeiten und Verschiedenheiten ausbalanciert werden müssen und beide in der Summe der Unterschiede weiterhin aneinander interessiert bleiben. Viele Paare sprechen im Nachhinein auch davon, dass es einen „toten Punkt” gab. Sich nach der Verliebtheitsphase aufeinander einzulassen – zu „entlieben” – ist der Beginn des Differenzierungsprozesses.

Differenzierung in der Partnerschaft heißt, den anderen zu lieben und dabei sich selbst treu zu bleiben und eigene Bedürfnisse zu benennen – auch dann, wenn der Partner es nicht akzeptiert oder bestätigt.

Das ist insgesamt ein sehr schwieriger Prozess, da die meisten Menschen durch ihre familiäre Sozialisation darauf konditioniert sind, sich nach den Bedürfnissen anderer zu richten. Männer wie Frauen versuchen die Bedürfnisse der Partnerin/des Partners zu „erspüren” und diese zu erfüllen, um selbst geliebt zu werden. Aber diese – eher unbewusste – Strategie ist nicht alltagstauglich, da sie zumeist darin endet, dass Mann/Frau nicht genug Liebe und Zuwendung bekommt, einander Vorwürfe macht und aufrechnet, was Mann/Frau alles für den anderen getan hätte usw.

Die meisten Menschen gehen mit einem emotionalen Defizit in die Partnerschaft und versprechen sich durch die Nähe zu einem Menschen Heilung von „alten Wunden”. Viele wollen es auch in ihrer eigenen Familie mal besser machen als in ihrer Herkunftsfamilie. Nur sind die frühen Prägungen sehr zäh und im wahrsten Sinne des Wortes „eingefleischt” – man spricht auch von einem verfestigten Charakter -, so dass alte Verhaltensweisen und Gewohnheiten auch in den selbstgewählten Beziehungskonstellationen praktiziert und wiederholt werden.

In der erwachsenen Partnerschaft sollte ein Mensch niemandem begegnen, wenn er seine Ruhe haben will. Wenn er sein Bedürfnis ernst nimmt, bleibt er dann allein. Wenn er mit jemandem zusammen sein will, dann deshalb, weil er mit ihm etwas erleben will, weil er ein eigenes Bedürfnis danach hat. Das muss dann noch nicht mit der Bedürfnislage des Partners zusammen passen. Ein Mensch mit einem hohen Differenzierungsgrad ist jedoch nicht darauf aus, um jeden Preis sein Bedürfnis durchzusetzen. Er kann es auch zugunsten seines Partners zurückstellen, aber es bleibt seine freie Entscheidung, ob er das tut. Mann/Frau wägt also nicht seine Wünsche mit den Wünschen des Partners ab, sondern er differenziert zwischen seinem Wunsch und dem Wunsch, auf die Wünsche des Partners einzugehen. Diese Freiheit ist an ein stabiles Selbst gebunden, an eine innere Identität, die sich nicht so leicht beirren lässt. Diese Identität kann sich nur in Beziehung zu anderen entwickeln. Man braucht den anderen, um seine Positionen und Überzeugungen zu entdecken und zu vertreten. Man muss jedoch aushalten können, damit alleine zu sein. Umso schöner ist es, Begegnung und Bestätigung zu erfahren, wenn Mann/ Frau sie nicht braucht.


Wie sieht nun Differenzierung aus?

Folgende Situation:

Sie: „Ich bin nicht glücklich damit, wie wir uns die Hausarbeit aufteilen. Ich bin wütend auf dich, weil du erwartest, dass ich alles mache.“
Er: „Ich erwarte gar nicht von dir, dass du alles machst. Tu‘ es doch einfach nicht. Für mich wäre das in Ordnung.“
Sie: „Aber ich hasse es, in einem Saustall zu leben.“
Er: „Das ist kein Saustall. Wir haben unterschiedliche Maßstäbe.“

Kommt dir so ein Streit bekannt vor?

Derjenige Partner kontrolliert die Situation, der das schwächere Verlangen hat. Wem etwas weniger wichtig ist, kann allein dadurch die Situation bestimmen, dass er kein Problem damit hat, etwas nicht zu tun. 

Frau: „Das sehe ich auch so, dass wir unterschiedliche Maßstäbe haben. Wir brauchen eine Lösung, in der meine Werte ebenfalls zählen. Es kann nicht sein, dass ich alles erledige, nur weil ich andere Werte habe.“
Er: „Das ist dein Problem. Entspann dich!“
Sie: „Ich bin nicht verspannt. Wir haben lediglich unterschiedliche Maßstäbe – das hast du selbst gesagt. Wir haben auch unterschiedliche Maßstäbe, was die Häufigkeit von Sex angeht. Und wenn du jetzt ausspielen willst, dass wir einfach nur unterschiedliche Maßstäbe haben, dann hoffe ich mal, dass du Spaß am Masturbieren hast.“

Merkst du, worum es mir geht?


Die wichtige Differenzierung

Wie ficht man das aus? So machen es Paare, die einander achten in ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und differenziert sind

Sie: „Dann werde ich damit leben, dass das Haus nicht so ordentlich aussieht, als wenn ich alleine darin wohnen würde, aber ich werde Mindestanforderungen aushandeln. Ich möchte wenigstens, dass du deine Unterwäsche nicht auf dem Boden herumliegen lässt, die Wäsche aus dem Trockner räumst und hin und wieder das Bett machst.“
Er: „Dazu habe ich keine Lust.“
Sie: „Das verstehe ich. Manchmal, wenn du mit Sex anfängst, habe ich auch keine Lust darauf. Aber ich verhalte mich nicht so, als würde ich dir einen großen Gefallen tun, wenn wir dann Sex haben. Ich könnte. Aber das kommt mir gar nicht in den Sinn. Genauso ist es mit deiner Unterwäsche, die herumliegt: Es ist deine Unterwäsche, aber du tust jetzt so, als würdest du mir einen Gefallen tun, wenn du sie wegräumst. Ich versuche nicht, dich zu kontrollieren, und abgesehen davon möchte ich das auch gar nicht. Ich möchte dir nicht die ganze Zeit sagen müssen: Räum deine Unterwäsche weg! Ich möchte einen Partner, der sich selbst kontrolliert.“

Wenn beide das einsehen, entsteht freier Raum für beide und es wird sehr viel wahrscheinlicher, dass sie diesen Streit beenden, Sex UND eine sauberes Haus haben.

Wäre es so einfach, mein Terminkalender als Paarberaterin wäre nicht bis auf den letzten Termin belegt. Offensichtlich scheitern etliche daran, den anderen nicht zu kontrollieren beziehungsweise sich nicht kontrolliert zu fühlen, und weiten diesen Konflikt dann auf ihr Sexualleben aus. Es entsteht ein Patt, denn Sex findet – sofern man nicht mit einem Gorilla zusammen lebt – nur statt, wenn beide es wollen.

Man könne nun meinen, dass der Unterschied zwischen einem Streit um Hausarbeit und einem um Sex ist, dass man für die Hausarbeit vergleichsweise einfach Kompromisse aushandeln kann. Sex hingegen findet statt – oder eben nicht.

Nein, ganz und gar nicht. Nur weniger entwickelte Paare – ich nenne sie wenig differenzierte Paare – haben entweder Sex oder gar nicht. Stelle dir vor, du willst Sex haben. Wenn ich wenig differenziert bin, werde ich so tun, als würde ich das nicht bemerken. Dann wirst du entweder aufgeben oder aber offensiver werden, was ich nicht mag. Also sage ich dir, dass ich mich von dir bedrängt fühle. Und wenn ich mich erst mal bedrängt fühle, werden wir nie Sex haben.
Wenn wir aber ein differenziertes Paar sind, werde ich auf deine Avancen eher so etwas antworten wie: „Ich merke, was du willst. Ich kenne dich doch.“ Du kannst dann deine Absichten zugeben: „Ja, in der Tat.“ Und ich antworte: „Okay, lass es uns tun. Aber erwarte bitte nicht ein Champions-League-Spiel.“ Du schreckst etwas zurück und fragst: „Oh, wird das dann Sex aus Mitleid?“ Ich aber beruhige: „Nein. Ich versuche, dich nicht zurückzuweisen. Ich bin nur müde und nicht wirklich in Stimmung. Aber es ist ja nicht so, als würdest du mich bitten, Hundefutter zu essen. Du hättest gerne Sex. Das wird schon nett werden.“
Ich signalisiere dir, dass ich dich verstehe. Ich empfinde zwar nicht das Gleiche, aber ich versuche einen Weg zu finden, der für uns beide passt. Es wird kein Sex aus Mitleid werden. Aber auch keine Luftakrobatennummer. Es wird einfach zärtlicher, angenehmer, warmer und freundlicher Sex sein.


Die Bedürfnisse des Anderen

In einer guten Partnerschaft gehen beide mit der Einstellung an das Meistern der Probleme heran, dass der andere einem „nichts will“. Der andere will mich nicht brechen, noch bevormunden, noch irgendwas. Er will sein dürfen. So wie er ist.

Ich muss lernen, dass die Bedürfnisse meines Partners nicht in allem mit meinen eigenen Bedürfnissen korrelieren, was man schön an dem Beispiel erkennen kann. Doch wenn ich selbst für mich und meine Bedürfnisse Wertschätzung erhalten will, so muss ich bereit sein, auch die Bedürfnisse meines Partners wertzuschätzen. Und dabei gibt es keine, die mehr oder weniger unwichtig sind. Ich muss bereit sein, meine Angst, meine Vorbehalte, meine Defizite zu überwinden.

Nur so ist echtes miteinander wachsen möglich. Und am Ende kommt sensationeller Sex und ein sauberes Haus dabei raus!

😉


Kathrin


die Autorin

 
KATHRIN GEEF

Kathrin Geef ist Inhaberin der Praxis für systemische Paartherapie, sowie Mindset- und Life-Coach für Frauen. Sie ist Autorin ihres Blogs und Gründerin des gemeinnützigen Vereins Speaker4Charity e.V..