Wenn wir uns scheiden lassen können, warum haben wir immer noch Affären?
Die typische Annahme ist, dass wenn jemand betrügt, entweder in der Beziehung etwas nicht in Ordnung ist oder mit ihm selbst. Aber Millionen von Menschen können nicht alle krankhaft sein.
Angenommen, es gibt sowas wie die perfekte Beziehung, die uns gegen das Fremdgehen schützt.
Was ist, wenn es Dinge gibt, die selbst eine gute Beziehung nie bieten kann?
Wenn sogar glückliche Menschen betrügen, um was geht es dann?
Ich habe dazu einen wundervollen Vortrag von Esther Perel* gefunden:
„Die große Mehrheit der Menschen, mit denen ich arbeite, sind alles keine notorischen Fremdgänger. Oft sind es sogar Menschen, die zutiefst an Monogamie glauben. Aber sie finden sich in einem Konflikt wieder: der Sehnsucht nach Liebe und der Sehnsucht nach Freiheit.
Oftmals sind es Menschen, die jahrzehntelang treu waren, aber eines Tages überschreiten sie eine Linie, die sie glaubten, niemals überschreiten zu können.
Selbst auf die Gefahr hin, alles zu verlieren.
Für einen Funken… von was?
Affären sind Betrug. Aber auch ein Ausdruck von Sehnsucht und Verlust. Im Kern einer Affäre findet man oft ein Sehnen und Verlangen nach emotionaler Verbundenheit, nach Neuheit, Freiheit, Selbstbestimmung und sexueller Intensität. Den Wunsch, Teile unseres verloren Selbst wiederzufinden. Oder einen Versuch, Lebendigkeit im Angesichts des Verlustes wieder zurückzubringen.
Da ist Margaret, die niemals ihren Mann Peter verletzen wollen würde. Sie erzählt mir, dass sie immer schon getan hat, was man von ihr erwartete: gutes Mädchen, gute Ehefrau, gute Mutter. Margaret verliebt sich in den jüngeren Gärtner Jan, der mit seinen Tattoos und seinen schweren Maschinen genau das Gegenteil von Margaret ist. Mit 47 Jahren geht es bei Margaret um die Jugend, die sie nie hatte.
Ihre Geschichte hebt hervor, dass wenn wir den Blick des Anderen suchen, es nicht immer unser Partner ist, von dem wir uns abwenden. Es ist die Person, die wir selbst geworden sind.
Es geht nicht so sehr darum, sich nach einer anderen Person umzusehen, als nach einem anderen Selbst Ausschau zu halten.
Es gibt ein Wort, von dem mir alle berichten, die eine Affäre begonnen haben. Dieses Wort ist: Lebendigkeit.
Affären existieren oft im Schatten von Sterben und Sterblichkeit. Verlust und Abschied. All diese Ereignisse rufen Fragen wie diese hervor: War das schon alles? Kommt da nichts anderes mehr? Werde ich die nächsten 20 Jahre auch so weitermachen?
Werde ich das jemals wieder fühlen?
Diese Fragen brachten mich zu der Überlegung, ob sie nicht der eigentliche Antrieb einer Affäre sind. Sind Affären vielleicht letztlich der Versuch, die Taubheit zu bekämpfen und ein Mittel gegen den Tod?
Es geht bei Affären weniger um Sex, als vielmehr um Verlangen. Der Wunsch nach Aufmerksamkeit, sich besonders zu fühlen, sich wichtig zu fühlen.
WIE HEILEN WIR VON EINER AFFÄRE?
Verlangen geht tief. Betrug geht tief. Aber es kann geheilt werden.
Es gibt Beziehungen, in denen die Affäre der Totenglocke gleichkommt, die über ihr schon lange läutet. Doch die meisten Paare bleiben zusammen. Sie können diese Krise in eine Chance verwandeln.
Viele Paare führen im Nachspiel einer Affäre tiefgründige Gespräche voller Ehrlichkeit und Offenheit. Partner, die sexuell abgestumpft waren, finden sich plötzlich in unersättlicher Lust wieder. Etwas von der Verlustangst hat das Verlangen wieder erweckt und den Weg für eine ganz andere Art von Wahrheit frei gemacht.
Von Traumas wissen wir das Heilung beginnt, wenn der Täter sein Fehlverhalten eingesteht. Für den Partner mit der Affäre ist es eine Sache, die Affäre zu beenden. Eine ganz andere ist, die Schuld und Reue einzugestehen, den Partner verletzt zu haben. Die meisten fühlen sich schuldig, den Partner verletzt zu haben. Aber sie fühlen sich nicht schuldig, für die Erfahrung der Affäre. Doch diese Unterscheidung ist wichtig.
Es liegt in der Hand des Partners, der betrogen hat, die Beziehung zu bewachen. Er muss für eine Weile der Beschützer der Grenzen sein. Es liegt in seiner Verantwortung, es anzusprechen um so sicherzustellen, dass die Affäre nicht unter den Teppich gekehrt wird.. Damit kann das Vertrauen wieder aus sich selbst heraus hergestellt werden.
Für den betrogenen Partner ist es von entscheidender Wichtigkeit, Dinge zu tun, die den Selbstwert wieder zurückbringen, sich mit Liebe und Freunden zu umgeben, die einem gut tun. Aber noch wichtiger ist es, die Neugierde zu drosseln, nach den schmutzigen Details zu graben. Wo wart ihr? Wo habt es getan? Wie oft? Ist sie besser im Bett als ich? Fragen, die noch mehr Schmerz zufügen und uns nachts wach halten.
Es gibt aber auch heilende Fragen. Fragen, die nach der Bedeutung und den Motiven suchen. Sie bringen Austausch.
Was hat diese Affäre dir bedeutet? Was konntest du dort erleben oder ausdrücken, was du bei mir nicht in der Lage warst? Wie war es für dich, wenn du nach Hause kamst? Was schätzt du an uns? Bist du froh, dass es vorbei ist?
Jede Affäre wird eine Beziehung neu definieren und jedes Paar wird bestimmen, was das Vermächtnis der Affäre sein wird.
Das Dilemma von Liebe und Freiheit bringt keine Antworten wie schwarz und weiß, richtig oder falsch, gut oder schlecht, Opfer oder Täter.
Es gibt viele Formen, wie wir unseren Partner betrügen können: mit Vernachlässigung, Verachtung, Desinteresse, Gewalt. Sexueller Betrug ist nur eine Weise, den Partner zu verletzen.
Das Opfer einer Affäre muss demnach nicht immer das Opfer einer Beziehung sein.“
LOVE, Kathrin