Enttäuschungen sind etwas, dem wir nicht begegnen wollen. Doch warum ist das eigentlich so? Warum wollen wir um alles in der Welt nicht enttäuscht werden?
Ein wertfreier Blick auf die tatsächlich zugrunde liegende Begriffsbedeutung sowie ein mutiger Blick in die eigene Psyche können zeigen, dass jede erlebte Enttäuschung ein befreiendes Geschenk für die Seele und deren Weiterentwicklung sein kann.
Ent- täuschung: sich aus einer Täuschung lösen
Die kleine Vorsilbe „Ent“- soll uns die Sinnbedeutung von „weg“, „fort“ oder „heraus“ vermitteln. Es geht also bei dem kleinen „Ent“ immer darum, sich von etwas zu lösen und sich von etwas zu trennen. In diesem Fall der „-Täuschung“. Der Mensch geht heraus aus einer Täuschung, der er bis dato erlegen ist.Warum erliegen wir einer Enttäuschung?
Wir alle haben Erwartungen und Wünsche, wie sich Dinge entwickeln und Menschen verhalten sollen. Da wir keine Kontrolle über andere haben, ist es unvermeidbar, dass wir enttäuscht werden. Wir fordern von unserem Partner: “ Sei so und so. Mach dies und das. Und überhaupt…“ Wir hegen und pflegen Tag für Tag Erwartungen und werden diese nicht erfüllt, sind wir enttäuscht. In Gedanken spielen wir wieder und wieder das gleiche Selbstgespräch ab: “ Warum macht er das nicht? Warum klappt das nicht? Warum bekomme ich das jetzt nicht? Warum eigentlich immer ich?…“ Doch nicht nur die Fragen haben einen vernichtenden O- Ton sondern viel mehr deren Antworten. “ Er liebt mich überhaupt nicht. Ich bin es ihm nicht wert. Ich bin einfach zu blöd, dass ich darauf immer wieder reinfalle. Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden. Ich habe es einfach nicht verdient“…„Machen Sie sich doch bitte mal frei“
Wer es schafft, eine Enttäuschung als mentale und seelische Befreiung zu sehen, der ist auf dem richtigen Weg. Oftmals gehen wir in einem Gefühl des Defizit in eine Erwartung: „Wenn ich jetzt dies oder jenes bekomme, dann geht es mir gut.“ Die Werbeindustrie bedient sich genau dieses Verhaltensmuster. Die neueste Creme verspricht mir ein faltenfreies Gesicht, der neue X6 ist jetzt noch wendiger, der neueste Hollywoodstreifen verspricht 120 min Höchstspannung und das neue Sextoy ungekannte Orgasmen. WOW. Und an allem klebt ein Preisschild, dass in keiner Währung bezahlbar ist. Hunger. Der Hunger nach immer mehr. Immer größer. Immer schneller. Wir werden nie satt. Weil es immer etwas gibt, was wir noch nicht haben. Was also können wir tun, wenn wir a) die Menschen nicht kontrollieren können, in dem was sie bereit sind, zu geben und b) es immer etwas geben wird, was ich noch nicht habe? Die einzige steuerbare Lösung ist, sich über die eigenen Erwartungen bewusst zu sein- und sie entsprechend zu hinterfragen.Wie kann ein Leben ohne Erwartungen funktionieren?
Ganz und gar ohne Erwartungen werden wir nicht auskommen, so viel sei verraten (das Leben ist (k)ein Ponyhof). Es geht aber mit entscheidend weniger Erwartungen und bedeutet, die (persönliche) Realität zu akzeptieren. Menschen zu nehmen, wie sie sind (mit ihren Fehlern, Unzulänglichkeiten und Schwächen) und sie nicht zu dem zu biegen, was sie sein sollten. Kein Mensch gleicht dem anderen und das ist auch der Grund, aus dem kein Mensch genau das machen wird, was man selbst machen würde. Oder, wie es Michael Lukas Moeller in seinem bereichernden Buch Die Wahrheit beginnt zu zweit so schön schreibt:Ich bin nicht du und weiß dich nicht.Es bedeutet weiterhin, nichts als gegeben zu betrachten. Der quicklebendige Körper, der gesunde Geist, das Dach über dem Kopf, die Arbeitsstelle. All das nehmen wir allzu leicht erst später als wertvoll auf, wenn wir 80 sind und nicht mehr zwei Stufen auf einmal nehmen können. Diese Gegebenheiten zu wertschätzen, führt zu Dankbarkeit. Einer der Tugenden, die nach dem amerikanischen Psychologen Martin Seligman mehr Wohlbefinden schaffen. Durch die verstärkte Wahrnehmung vom Positiven im Leben (und es gibt immer etwas davon wahrzunehmen!) wird Achtsamkeit gefördert. Achtsamkeit gegenüber den Dingen, die hier und jetzt sind. In der Gegenwart. Der Zeit, die wir ein- und ausatmen.
Erwarte nichts. Heute: das ist dein Leben. –Kurt TucholskyAbgesehen davon, ob Dinge jetzt gut oder schlecht sind: sie sind. Und sie sind – wenn man sie einmal mit den objektiven Augen eines Wissenschaftlers oder Zoobesuchers betrachtet – extrem faszinierend und vielseitig. Aber was habe ich davon? Und was spricht noch dafür, die bewussten Erwartungen zu registrieren und ihnen daraufhin den Laufpass zu geben?
Keine Erwartungen haben schafft Unabhängigkeit
Die Erwartungen der anderen sind vor allen Dingen die Erwartungen der anderen. –Guido Hiltner11Wie oft versuchen wir, es den anderen recht zu machen, weil wir annehmen zu wissen, was sie von uns wollen? Oder, weil wir Harmonie suchen und erwarten, Disharmonie auf eine bestimmte Weise verhindern zu können. Wie oft lagen wir damit daneben? Ich zumindest einige Male. Und egal, ob ich unter den Erwartungen anderer zurück blieb oder sie übertraf – letzten Endes waren es die Maßstäbe anderer, die auf mich einwirkten und mir ein Stück der Freiheit nahmen, die ich hätte gebrauchen können. Ich tat, was ich dachte, tun zu müssen und nicht, was ich tun wollte. Damit war ich abhängig von anderen Meinungen. Natürlich ist es nicht immer möglich, sich den Erwartungen anderer zu entziehen. Gerade im Geschäftsleben ist diese Freiheit beschränkt. Quartalszahlen werden erwartet, damit die Firma überleben oder wachsen kann. Eine Kleiderordnung wird erwartet, weil man sonst als unseriös oder ohne Respekt gegenüber anderen wahrgenommen wird. Aber nur, weil es „immer schon so war“ heißt das ja nicht, dass diese Erwartungen nicht hinterfragt oder ersetzt werden könnten! Das Fazit: Geringe Erwartungen sind oft eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Das kann in die positive Richtung gehen, aber auch in die negative: Wir isolieren uns vor Versagen, versuchen es nicht so ernsthaft, erwarten das Schlimmste. Und bekommen es oft auch. Hohe Erwartungen, auf der anderen Seite, werden unweigerlich zu Enttäuschungen führen. Steigern Sie stetig Ihre Erwartungen und früher oder später (wahrscheinlich früher) wird ein gutes Ergebnis, das jedoch schlechter ist als das erwartete, sich anfühlen wie Versagen. Vielleicht ist es eine Überlegung wert, weniger Erwartungen zu haben, sich intensiv anzustrengen und zu akzeptieren, was wir im Gegenzug erhalten.
Wie kann ich meine Erwartungen minimieren oder sogar ganz loswerden?
An erster Stelle steht die Wahrnehmung. Wenn du das nächste Mal deinen Partner anschnauzt, weil er oder sie etwas nicht zu deiner Zufriedenheit erledigt hat, nimm es wahr. Atme tief durch. Und lasse die Erwartungen samt Verärgerung an dir vorbeifahren. Wie ein Auto, dessen Lärm du zwar beim Vorüberfahren bemerkst, aber ohne Bewertung vergehen lassen kannst. Werde dankbar. Nimm das, was andere Menschen dir gern geben als Geschenk dankbar an und mache dies so groß, wie es eben nur geht. Dankbarkeit für das was ist, ist der Schlüssel zu mehr innerem Reichtum. Jeder Mensch kommt als i- Tüpfelchen in dein Leben. Dein Leben ist bereits voll. Du hast jeglichen Besitz bereits in dir. Erwarte nichts. Empfange alles!Wer selbst viel tut und von anderen wenig erwartet, der wird wenig Kummer haben. –Konfuzius
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