written by Kathrin Geef | Blogartikel 

6. Januar 2021

Dieser Blogbeitrag gehört zur Serie SPIELREGELN – DAMIT PARTNERSCHAFT GELINGT, in der ich den Versuch starte, die am meisten vorkommenden Probleme, die mir in der Arbeit mit Paaren begegnen, aufzuzeigen und Hintergründe dazu zu geben, wie diese Herausforderungen gemeistert werden können.

Zugehörige Blogbeiträge:

  1. Spielregeln der Liebe - Wie Partnerschaft heute gelingt
  2. Wie Macht die Liebe zerstört
  3. Wenn die sexuelle Lust erlischt – Zu viel Nähe
  4. Fremdgehen - Vom Wert der Treue

Bist du bereit? Dann mach es dir bequem und lies das 3. Kapitel.


Wenn die sexuelle Lust erlischt – Zu viel Nähe

Szene aus einer Beratungsstunde (Namen wurden verändert):

Robert und Mareike sitzen mir gegenüber. Ein junges Paar, was vor kurzem zum ersten Mal Eltern wurde. Die beiden mögen sich und schätzen sich als Eltern. Sie sind ein eingespieltes Team, alles läuft bestens und doch sitzen sie nun hier bei mir im Sprechzimmer. Ihnen ist die Lust aneinander verloren gegangen, und das, obwohl sie sich sehr gern haben.

„Was stimmt nicht mit den beiden?“ mag sich der ein oder andere Leser jetzt denken.

Nicht all zu selten kommt es – trotz liebevoller Gefühle füreinander – dazu, dass die Lust, miteinander zu schlafen, einschläft. So auch bei diesen beiden. Mareike ist das Verlangen nach Sex fast gänzlich abhanden gekommen und auch Robert ist nur noch sehr selten daran interessiert. Das war nicht immer so. Am Anfang ihrer Partnerschaft konnten sie kaum die Finger voneinander lassen und kamen tagelang nicht aus dem Bett. Das hielt sogar sehr lange an, bis sie zusammen nach Köln in die gemeinsame Wohnung zogen. Von da an wurde es im Bett deutlich weniger aufregend. Anfangs wollten sie es nicht wahrhaben und schoben es auf den Stress und das neue Umfeld und hofften, dass es nur vorübergehend wäre. Nur leider, je verbindlicher die Beziehung wurde, nahm die Lust aufeinander stetig weiter ab. Nach der Geburt ihres Kindes fanden sie den Weg zur körperlichen Vereinigung so gut wie gar nicht mehr.

Jetzt, wo die Frage nach einem zweiten Kind ansteht, sind sie zutiefst beunruhigt. Wohin wird sich ihre Partnerschaft entwickeln, wenn sie weiter wie Bruder und Schwester, aber eben nicht wie Mann und Frau, leben? Mareike fürchtet um Verbindung und Exklusivität und Robert fehlt das Gefühl von Nähe und Sicherheit. Beide sind tief verunsichert und suchen nach einer Antwort sowie einer Lösung für ihre Lustlosigkeit.


Ursachen sexueller Lustlosigkeit

Sexuelle Lustlosigkeit ist keine Seltenheit. Dabei geht es nicht um eine eigentliche sexuelle „Störung“, denn die sexuellen „Funktionen“ sind zumeist intakt, nur – es fehlt die Lust, das Verlangen danach. Die Betroffenen schaffen die Kurve nicht mehr zueinander und das dumpfe Gefühl der Resignation breitet sich immer weiter aus. Frustration macht sich bemerkbar, die Freuden des Lebens gehen immer mehr verloren und Betroffene stehen am eigenen Lebensfluss und schauen dem vorbeiziehendem Glück immer häufiger traurig hinterher, weil sie nicht mehr daran teilhaben können.

In einer sexuellen Beziehung müssen wir uns immer wieder eine „Grundwahrheit“ vor Augen halten, die leicht vergessen wird: Ob die Sexualität zwischen zwei Partnern „klappt“ oder nicht, ist in aller Regel nicht eine Frage der sexuellen „Funktion“. Die Partner haben keine sexuelle „Störung“. Sexualität ist eine komplizierte Angelegenheit, in der die gesamten gemeinsamen Lebensbereiche mit hinein fließen. Dazu zählen die körperliche Verfassung der Partner, vorübergehender oder auch andauernder Stress, Sorgen, Wohnverhältnisse, die Inanspruchnahme durch die Kinder und vieles mehr. Das alles und noch so viel mehr wirkt zusammen und ein auf die Sexualität. Wenn die Lust versiegt, ist meist kein körperliches oder seelisches Gebrechen vorhanden, sondern man tut gut daran, die gesamte Lebenssituation der Partner ins Auge zu fassen. Wenn die Leidenschaft versiegt ist es oft so, dass es innerhalb der Partnerschaft unterschwellig brodelt, und man dessen Ursache auf den Grund gehen sollte.

Ohne Anspruch darauf, alle hier denkbaren Möglichkeiten auch nur ansatzweise benennen zu können, möchte ich auf ein Stör Feld der Sexualität im Zusammenleben der Partner hinweisen, das meiner Erfahrung nach zu wenig Beachtung findet.


Zu viel Nähe

Schauen wir uns noch einmal das junge Paar von eben an. Es fällt auf, dass es zum ersten Dämpfer in ihrer Sexualität kommt, nachdem sie zusammen nach Köln gezogen sind. Dadurch kommen sie raus aus der Ausnahmesituation der ersten Wochen, in denen sie im Rausch ihrer Glückshormone eher Drogensüchtigen, als halbwegs – mit klarem Verstand – handelnden Wesen ähnelten. Durch das Zusammenziehen kehrt etwas Normalität und Alltag ein. Und je mehr Normalität in ihr Leben kommt – durch die Heirat, durch die Geburt des Kindes – desto weiter nimmt die sexuelle Lust zwischen ihnen ab.

„Können wir begehren, was wir schon haben?“ fragt nicht umsonst die weltweit bekannteste Paartherapeutin Esther Perel.

Psychologen, Sexualtherapeuten und Sozialwissenschaftler beschäftigen sich schon seit Langem mit der scheinbar unlösbaren Frage, wie Sexualität und und Zusammenleben miteinander zu vereinbaren sind. Es gibt eine Unmenge an Ratgeber und Geheimrezepte zur Anregung unseres sexuellen Appetits. Ich halte wenig davon, zielen sie doch meist auf ein und dasselbe ab – wir sollen wieder funktionieren. Doch Sexualität, so glaube ich, geht ja genau deshalb so oft verloren, weil es einen Bereich in uns anspricht, in dem wir nicht funktionieren WOLLEN. Ich stelle stattdessen Fragen, auf die es keine so schnellen Antworten gibt.

Was ist die Natur erotischen Verlangens?

Warum führt viel Nähe nicht automatisch zu viel Intimität?

Warum geht so viel Leidenschaft beim Übergang vom Paar zu Eltern verloren?

Wie können wir begehren, was wir schon haben?


Bedürfnis nach Sicherheit und Bedürfnis nach Abenteuer

Wir Menschen haben zwei grundlegende Bedürfnisse, die in einem gewissen Gegensatz zueinander stehen: das Bedürfnis nach Sicherheit einerseits, und das Bedürfnis nach Abenteuer andererseits. Sicherheit und Nähe finden wir durch etwas Vertrautes, Erregung und Abenteuer finden wir im Kontakt zum Fremden. Dies gilt in gewissen Grenzen, denn zu viel Fremdheit macht Angst und zu viel Vertrautheit weckt Langeweile und Überdruss. Wenden wir diese Erkenntnis auf unser Paar an, könnten wir zu folgender Deutung kommen: Als sie sich verliebten, lebte jeder noch in seiner eigenen Welt. Der andere war der Fremde. Das ist erregend und entfachte ihre Lust füreinander. Dann zogen sie nach Köln, wurden sich einander immer vertrauter, lernten sich in und auswendig kennen und fanden immer mehr Sicherheit beieinander.

Man muss sich fragen: Zu viel Sicherheit, so dass es in Langeweile und Überdruss umschwenkte?

Wir alle trachten nach Sicherheit: nach Konstanz,, Verlässlichkeit, Stabilität und Kontinuität. Diese tief verwurzelten Instinkte erden gewissermaßen unsere menschliche Erfahrung. Gleichwohl brauchen wir auch den Reiz des Neuen und Veränderung. Sie sorgen für frische Energie und schenken unserem Leben Erfüllung und Abwechslung. Wir sind wandelnde Widersprüche, verlangen einerseits nach Sicherheut und Vorhersehbarkeiten, suchen aber andererseits auch bereichernde Vielfalt.

Natürlich muss zwischen Partnern Bindung entstehen, und damit auch Vertrautheit und Sicherheit, anders wäre keine Lebensgemeinschaft möglich. Aber es braucht auch ein Stück Fremdheit, und die bleibt gegeben, wenn die Partner außer für Bindung auch dafür sorgen, dass ihre Eigenständigkeit erhalten bleibt und ihr Individualismus gestärkt wird. Das heißt: Das beide Partner dafür sorgen, dass sie autonome Persönlichkeiten bleiben und sich als autonome Persönlichkeiten weiterentwickeln.

Das bedeutet, dass ich auch nach der Heirat noch meine eigenen Interessen habe, meinen eigenen Hobbies nachgehe, meine eigenen freundschaftlichen Beziehungen pflege und für meine innere und äußere Selbstständigkeit sorge. Jeder der Partner braucht auch nach der Heirat seine „eigene kleine Welt“.

Vor allem wir Frauen stehen in der Gefahr, uns zu sehr auf „Frau von …“ und „Mutter von …“ reduzieren zu lassen. Das Übermaß an Bezogenheit auf Mann und Kind schafft genau jene zu große Sicherheit und Vertrautheit, auf die der Mann mit Überdruss reagiert und womöglich dann das erregende Abenteuer bei einer anderen sucht.

Aber auch viele Männer verlieren mit der zeit ihr eigenes Profil. Sie beginnen, in der sach- und leistungsorientierten Berufswelt zu funktionieren wie ein kleines Rädchen im Getriebe, passen sich im Übermaß an, lassen sich mit Arbeit zuschütten und setzen alles daran, nur ja nicht durch zu viel Individualität aufzufallen. An eigene Interessen, einen eigenständigen Freundeskreis, eigene kreative Ideen verschwenden sie keine Energien mehr. Diese grauen „Berufs- und Arbeitsmänner“ werden für Frauen genau so unattraktiv, wie umgekehrt die „Muttis“ für ihre Partner.

Durch den Verlust an Eigenständigkeit auf beiden Seiten aber wird die familiäre Nähe zusehends ein undifferenzierter Einheitsbrei, in dem die Leidenschaft erlischt.

Deshalb: Liebe ist, wenn zwei eins werden, und dennoch zwei bleiben.


Im nächsten Teil geht es darum, wenn einer fremdgegangen ist und vom Wert der Treue.

Bleib also dran ...


Kathrin



die Autorin

 
KATHRIN GEEF

Kathrin Geef ist Inhaberin der Praxis für systemische Paartherapie, sowie Mindset- und Life-Coach für Frauen. Sie ist Autorin ihres Blogs und Gründerin des gemeinnützigen Vereins Speaker4Charity e.V..